„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. So steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Ohne jede Unterscheidung nach Geschlecht, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung, Alter, Religion oder irgendeinem anderen Merkmal gilt das für jeden Menschen. Jeder Mensch ist von gleicher Würde und sie ist unbedingt zu schützen und zu schätzen. Sehr deutlich orientiert sich unser Grundgesetz hier an den Normen der Bibel! Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde – so heißt es schon ganz an ihrem Anfang. Eine höhere Würde kann es nicht geben. Jesus betont, welche Konsequenz diese Würde hat: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt … und Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Gottesliebe und Nächstenliebe gehören untrennbar zusammen. Die Ehrfurcht vor Gott und die Ehrfurcht für die Mitmenschen sind zwei Seiten derselben Medaille. Ist der Mensch das Ebenbild Gottes, so kann man keinen Menschen anschauen, ohne darin auch Gott zu sehen.
So weit, so theoretisch. In der Praxis sieht es oft anders aus:
Petrus, der Jünger Jesu und das Urgestein der Christenheit lebt nach anderen Regeln. Er kann nur mit denen Gemeinschaft haben, die zu seiner eigenen religiösen „Blutgruppe“ gehören. Von allen anderen grenzt er sich ab. Und die Grenze wird vielleicht am deutlichsten durch die Speiseregeln, an die er sich hält. Wer anders isst, als Petrus, der kann auf keinen Fall sein Tischgenosse sein! Davon ist Petrus überzeugt. Da träumt er einen beunruhigenden Traum: Ein ganzes Sammelsurium von Speisen wird ihm vorgesetzt. Manche sind nach seinen Regeln „rein“ – andere sind es nicht. Aber Petrus soll essen! Quer durch die Tafel soll er essen und keine Unterschiede dabei machen. Von Ekel geschüttelt wacht Petrus auf. Der Traum aber lässt sich nicht abschütteln. Dreimal wird er von dieser Vision heimgesucht. Und jedes Mal endet der Traum mit einer Stimme, die Petrus zuruft: Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten! Kurz darauf klopft es an der Tür. Fremde stehen davor und bitten Petrus, ihnen in das Haus des heidnischen Hauptmanns Kornelius zu folgen. Und für Petrus wird klar: Mein ekelhafter Traum führt mich zu Leuten, mit denen ich mich nie einlassen wollte! Was ich von den Speisen geträumt habe, gilt erst recht für Menschen: Sie sind nicht unheilig und nicht unrein und darum kann ich mich ihnen nicht verweigern – schon gar nicht, wenn sie Sehnsucht nach der Liebe Gottes haben!
Für die Kirche Jesu Christi ist dieser Traum ein ganz einschneidendes Ereignis! Fast wäre aus den Nachfolgern des Jesus von Nazareth eine unbedeutende Sekte mit engen Regeln geworden. Aber jetzt lässt sie sich auf den Weg Jesu ein, der zu allen Menschen führt. Welch ein Glück!
Nur dass dieser Weg in 2000 Jahren Kirchengeschichte so unglaublich viele Rückschläge erlitten hat! Frauen sollen den gleichen Wert haben wie Männer? Menschen mit dunklerer Hautfarbe sollen dieselben Rechte haben, wie Hellhäutige? Schwule, Lesben, Diverse … stehen auf derselben Stufe wie die angeblich Normalen? Menschen verschiedenster Kultur haben denselben Respekt verdient?
Wir müssen es immer wieder lernen, dass wir nicht unser Bauchgefühl, schon gar nicht unseren persönlichen Ekel, zum Maß aller Dinge erklären. Ja, vielleicht müssen wir manchmal schlucken, aber es ist wirklich wahr: Wir dürfen keinen Menschen unheilig oder unrein nennen. Es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt!
Für manche von uns fängt jetzt die Urlaubszeit an. Im Urlaub haben wir meistens eine große Offenheit für andere Menschen und Kulturen. Dass daraus mehr wird, als nur ein Urlaubsgefühl, dass wünsche ich allen Leserinnen und Lesern!
Euer Pastor Rainer Mittwollen