„Wann kommt das Reich Gottes?“ So fragen einige Pharisäer Jesus.
Pharisäer sind ja verdächtig. Angeblich. Sie stellen Fangfragen und suchen Streit. Bestimmt wollen sie Jesus auch mit dieser Frage eine Falle stellen. Oder zumindest wollen sie ihn auf die Probe stellen – ob er wohl auf dem rechten Kurs ist, ob er die Zeichen deuten kann, ob sein Zeitplan stimmt…
Ehrlich gesagt: Ich habe selber immer das Gefühl, dass ich auf der Hut sein muss, wenn mir Fragen nach den letzten Dingen gestellt werden. „Sind wir jetzt in der Endzeit?“ Wer mich das fragt, hat nicht selten die richtige Antwort längst für sich verbucht. Und je nachdem, wie meine Antwort ausfällt, habe ich dann den Test bestanden oder eben auch nicht.
Aber vielleicht ist das alles nur ein Vorurteil – das mit den Pharisäern und das mit den modernen Endzeitrechthabern – und es steckt in Wirklichkeit eine Sehnsucht und eine genauso echte Verunsicherung hinter der Frage?
Tatsächlich teilen Juden und Christen eine gemeinsame Hoffnung: dass Gott endlich sein Reich des Friedens aufrichtet und dass die Maßstäbe seines Reiches nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde ganz zur Geltung kommen.
Juden verbinden diese Hoffnung mit dem Kommen des Messias – und Christen verbinden sie mit dem Wiederkommen ihres Herrn, Jesus Christus.
Aber diese Hoffnung leidet damals wie heute an einer großen Spannung: Wann ist es endlich soweit? Der großen Hoffnung steht ein Übermaß an Gewalt, Ungerechtigkeit und Elend entgegen. Wie lange noch?
Die Antwort, die Jesus gibt, ist eine Überraschung – oder eher noch ein Rätsel. Auf die Frage nach dem Wann antwortet er mit einem Hinweis auf das Wo: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch!“ Wörtlich sagt er sogar: „Das Reich Gottes ist in euch!“
Was soll das bedeuten?
Das Neue Testament weiß sehr wohl, dass die endgültige Erfüllung unserer Hoffnung noch aussteht. Auch Jesus redet immer wieder von der unbestimmten Zeit, die uns vom Himmel auf Erden noch trennt. Und trotzdem ist Gottes Reich nicht himmelweit von uns entfernt. Die Menschen fragen nach dem Wann – dabei ist in Jesu Person das Wo längst geklärt. Wo immer er heilend, tröstend, vergebend den Menschen begegnet, da ist Gottes Reich gegenwärtig. Das gilt selbst da, wo Menschen grausame Gewalt und elendes Sterben erleiden. Denn auch dorthin ist Jesus gekommen. Und seine Auferstehung hat eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.
In der Welt, so wie wir sie heute sehen, ist unsere verzweifelte Sehnsucht nach dem kommenden Reich Gottes mehr als berechtigt. Umso wichtiger, dass wir uns nicht verzetteln in Diskussionen über den Endzeitfahrplan, sondern die Nähe von Jesus mitten unter uns entdecken und davon unser Leben und Handeln leiten lassen.
Euer Pastor Rainer Mittwollen